Bis nach Hadamar sind es gute neunzig Kilometer Fahrradwege und Kreisstraßen an diesem sonnig, heißen Julitag anno 2022. Es braucht nicht viel um glücklich zu sein. Eine kurze Radlerhose, ein T-Shirt, eine Sonnenbrille, zwei Pullen Wasser und eine prall gefüllte Stullenbox genügen für eine Tagestour vom Siegerland ins Rothaargebirge, durchs schöne Dietzhölztal hinauf in den Westerwald, bevor das Limburger Becken den offenen Blick auf den Taunus freigibt. Ein Träumchen für jeden besessen beseelten Drahteselfreak.
Kurz vor der Landesgrenze von Hessen nach Rheinland-Pfalz geht es hoch zum Knoten. Rechts lockt die Krombachtalsperre mit einem Colaweizen. Heute nicht, auf der Anhöhe rotieren die Stromerzeuger in raschem Tempo. Wind aus Südwest treibt eine pechschwarze Wolkenwand vor sich her, Bäume verneigen sich tief, erste Tropfen trommeln auf den Helm. Ein paar hundert Meter weiter versinkt die Welt im Dunkelgrau. Wald und Weg verschwinden aus dem Blickfeld, die Schuhe füllen sich augenblicklich mit Wasser, ohrenbetäubender Lärm erfüllt die Luft. Wütende Blitze erzeugen Scherenschnitte von Baum und Gesträuch, bevor sich der Mademühler Weg in eine Wasserstraße verwandelt. Ich habe zutun das Rad festzuhalten, den Blick fest nach unten auf die Schlammbrühe gerichtet, die bis zur Kurbel reicht. Kurz hält der Sturm inne, bevor er seinen Aggregatzustand wechselt. Aus flüssig wird fest. Erst erbsengroß dann größer, schwerer, schmerzhafter schlägt ein Artilleriefeuer aus Eis auf Mensch und Technik ein. Es ist unmöglich nach Hilfe zu rufen. Der Sommer fühlt sich an wie ein eisig kalter Wintersturm auf nackter Haut. Eine gefühlte Ewigkeit später ist es vorbei. Meine Füße stecken in einem angeschwemmten Berg aus Hagelkörnern. Das Grollen ist jetzt hinter mir, die Sonne strahlt unschuldig aus einem stahlblauen Himmel herab.
Ich öffne den Reißverschluss meiner Kühltasche auf dem Gepäckträger, um mir etwas Trockenes herauszufischen. Sie steht halb voll Wasser.. Die Kamera schwimmt obenauf in ihrem Ledercover, Geld nebst Karten nehmen unten ein Vollbad. Die letzte Knackwurststulle überlasse ich den Bewohnern des Westerwaldes..
Ein wahres Albträumchen für jeden besessen beseelten Drahteselfreak.
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