Reisebericht: Via Claudia Augusta
- Joachim Milde
- 7. Sept.
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 12. Sept.
Zielankunft in Sirmione!
Auszug aus der Reisekonversation am Tag eins nach Hause:
"Heute ist die Bahn pünktlich, aber peinlich. Ab Würzburg versagt die Klimaanlage, zwanzig Minuten später die Toiletten."
"Cafépause im schwäbisch-bayerischen Donauwörth.
Es hat Kartoffelsuppe in lauwarm.
Am Nachbartisch stellt ein schnurrbärtiger Lederhosenträger seine beiden halbwüchsigen Kinder vor, Clemens und Pius, Papstanwärter."

Und sie tun es wieder. Die Rhöner Jungs sind auf dem über zweitausend Jahre alten Kriegs- und Handelspfad der Römer gen Süden unterwegs. Auf den ausgetretenen Pfaden der Kaiser Claudius und Augustus bringen sie jenen, die einst die Kultur über die Alpen brachten, das Ergebnis zurück. Die Rhöner besuchen die Römer. Sanctus Christopherus, castus Norbertinus, ferrum Thomasius, iustus Martinus, gloriosus Robertus, donatus Danielis und scribe Joakims stehen auf der Gästeliste.
Sie alle tragen die Botschaft von Freundschaft und Freiheit im Gepäck. Sie radeln auf der Via Claudia Augusta der Sonne entgegen.
An der Mündung der Wörnitz in die Donau, in Donauwörth, besteigen sie ihre Aluminiumpferdchen mit Carbon-Beschlägen. Es geht eben hin und schnurgeradeaus, durch Acker- und Weideland, durch lichte Auwälder, entlang kleiner Flussläufe durch Bayerisch-Schwaben.


Noch weit vor der Nacht erreichen sie die Fuggerstadt Augsburg. Die braven Rhöner Jungs meditieren ausgelassen an ein paar Bars in der Altstadt. Sie feiern und trauern über die Ergebnisse des zweiten Spieltags der Fußball-Bundesliga. Spät entledigen sie sich ihrer Gewänder und schlafen den Schlaf der "Geleerten".
Tag 2 Augsburg - Kloster Ettal
Wer feiern kann, kann auch Fahrrad fahren.
Die ersten fünfzig Kilometer wird wenig gesprochen. Die Jungs reihen sich ein, treten gleichmäßig in die Pedale und folgen den Radwegen entlang der B17 und der B23 nach Süden. Das Alpenvorland ist weitestgehend flach und unspektakulär, wird später wellig und hügelig, bis sich schemenhaft die Kulisse der Ammergauer Alpen am Horizont abzeichnet.

Die Mundwinkel partizipieren von der Landschaft. Nach jeder Biegung wächst das Gebirge höher ins Auge, in die Muskeln, ins Hirn. Die Vorfreude steigt mit jedem Höhenmeter. Die Rhöner steigen aus ihren Sätteln, spüren und spurten und wissen genau, warum sie sich das antun.



Von Oberammergau ist es ein Katzensprung ins Kloster Ettal. Kühles Bier mit weißem Schaum rinnt durch den Kopf, in den Bauch und in die Beine. Interessante Aufgaben umspülen die Leber, lachende, strahlende Gesichter prosten sich zu.



Das Kloster Ettal ist ein Ort, der die irdische Welt mit der himmlischen zu verbinden scheint. Im Hausflur zieht sich ein romantischer Schriftzug über eine weiße Wand:
Dem Himmel so nah
Tag 3 Kloster Ettal - Steinach am Brenner
Eine harte Bergetappe steht an. Von Ettal geht die heutige Fuhre über hundert Kilometer und tausendfünfhundert Höhenmeter hinauf nach Steinach am Brenner. Ohne wirkliche Vorbereitung ist das für jeden der Jungs eine echte Herausforderung. Auf der Brotscheibe landet eine zusätzliche Pelle Wurst, die Wasserflaschen werden randvoll gemacht, die Sonnencreme dicker aufgetragen.

Ein Freund ruft an und fragt wie's läuft. Ich trage unsere Bedenken vor, der Freund hat eine Lösung.
"Alle ab in die Basilika zum Beichten. Dann geht's mit halber Last die Berge hoch."


Hinter der ersten Kurve ist die Straße gesperrt. Wir fragen den Bautrupp, ob wir durchkommen. "Eigentlich nicht, Bagger stehen auf der Straße, Bäume werden gefällt, Asphalt ausgetauscht. Ihr müsst die Schiebestrecke über den Pass nehmen." Was ein Rhöner muss, bestimmt er selbst. Geschoben wird nur an der Absperrung vorbei, durch den Graben. Wir kommen durch.


Ab Seefeld wird's ruppig. Die fünf Kilometer lange Abfahrt, hinab an den Inn, ist nicht mehr als eine aufgeweichte Flutrinne, eine Schotterpiste mit teils dreißig Prozent Gefälle. Nach der Hälfte der Strecke riecht man seine Bremse. Unten angekommen, ist das linke Schienbein schwarz vom Bremsstaub. Coole Sache. Alle heile. In Innsbruck gibt's Pizza.



Hinter der Bergisel-Schanze geht's wieder rauf und dann wird's nur noch schön. Wir radeln durch ein alpenländisches Bilderbuch, dem nächsten Weißbier entgegen. Duschen, Essen fassen, Feierabend.




Tag 4 Steinach am Brenner - Bozen
Das Leid der einen, ist das Glück der anderen. Ein Rekonvaleszent ist einer, der gesünder wird, weil er die Last der anderen trägt. Klingt unmöglich, ist es nicht.
Die Rhöner gönnen sich ihren eigenen Begleitservice für Räder, Koffer, Bier und Zuspruch. Der Rekonvaleszent verabschiedet die Gruppe am Morgen und begrüßt sie am Abend. Er rollt den Teppich aus und verteilt die Medaillen. Während er gesund wird, sorgt er dafür, dass die anderen es bleiben. So geht Rhöner Schwarmintelligenz.


Von Steinach am Brenner geht's weiter rauf. Die Strecke folgt der alten Brennerstraße und fädelt sich durch Bahnunterführungen und Betonpfeiler der darüber liegenden Autobahn. Oben wird gefahren unten gebaut. Kilometerlang wird Hangsicherung betrieben, Gebirgsnägel gebohrt und vergossen, Netze verspannt, Spritzbeton aufgetragen.


Regen ist angesagt, viel Regen, dauerhaft Regen. Noch sind die Gummiklamotten in den Rucksäcken verstaut. Hier oben fühlt sich der Sommer wie ein Spätherbst an. Tiefhängende, weiße und graue Wolkenberge spiegeln sich in uferlosen Pfützen. Schotterwege sind ausgespült. In einer dunklen Unterführung liegt ein Abflussrohr frei. Ein blutiges Knie ist die Folge und dennoch nicht der Rede wert.
Am Grenzstein zu Italien gibt's ein Gipfelfoto.

Der Himmel reißt auf, der Regen bleibt aus und es geht im wilden Zaster bergab. In Brixen fallen die Jungs in eine Pizzeria ein.
Zwischen Brixen und Bozen führt der Radweg entlang dem Eisack. Er ist der zweitlängste Fluss in Südtirol und mündet südlich von Bozen in die Etsch. Im Norden der Stadt lockt der Ötzi für sein Museum.



Unser Empfangs-Rekonvaleszent hat einem Tisch in einem Biergarten in Bozen reserviert.
Dann bricht der Regen los und die Jungs werden nass, vorwiegend von innen.
Vorbei an Mussolinis faschistischem Siegesdenkmal pilgern die Jungs vom Biertisch an den Esstisch.




Der Tag klingt aus im Gaumenschmaus und wie war das nochmal, mit den Träumen in fremden Betten?

Tag 5 Bozen - Lago die Garda
Nach vier Tagen im Sattel bist du im Flow.
Es gibt nichts mehr, was dich aufhält. Deine Pedale, deine Beine, deine Bewegung, dein Kopf, alles ist eine Einheit. Du denkst nicht mehr über Trettechnik, Anstiege oder Geschwindigkeit nach. Du funktionierst intuitiv, bist ein Teil von Raum und Zeit. Bilder dringen in dich ein. Neue und immer wieder neue Screenshots werden vom Fahrtwind durch dein Hirn gepustet. Deine Synapsen filtern, destillieren und konservieren das Glück des Augenblicks. Der Alltag tritt zurück, körperliche Anstrengung mündet in einem tiefen Gefühl von Zufriedenheit und innerem Frieden. Es gib es nur noch dich, deine Bewegung, die Straße und den Wind.


Bis zum Lago di Garda sind es gemütliche 113 Kilometer. Pünktlich neun Uhr startet der Biker Express in der City von Bozen, rollt gemütlich an die Etsch und nimmt auf dem zweispurig ausgebauten Radweg gen Süden, Geschwindigkeit auf.
Nachdem ich zweimal kurz angehalten habe, um ein Foto zu machen, sind die Rhöner auf und davon. Ich werde sie einholen, wenn die Restmengen des Biers aus letzter Nacht ins Freie drängen.
Gleich hinter Bozen kommen die Äpfel. Geometrisch exakt zugeschnitten und mit Netzen abgespannte Plantagen reichen weit hinab ins Tal. Der Radweg führt über die Dammkrone der Etsch und trennt die Äpfel vom Fluss. An den Außenseiten ragen die Alpen auf. Den Äpfeln folgen die Trauben.



In Trient gibt's Pizza mit knusprigem Rand. Pizza, die ausschaut wie ein Vulkankrater zum Reinbeißen. Es ist unmöglich, davon etwas abzugeben. Ein letztes kleines Stück Kraterrand verschwindet in der Gesäßtasche.



Und dann stehst du am nächsten Rand, dort, wo sich ein Seitenarm des glazialen Etschtal Gletschers tief ins Gebirge gegraben hat. Als er vor 10.000 Jahren abtaute, füllte er die Senke und bekam der Namen Lago di Garda. Am Südufer entstanden die typisch hügeligen Moränen, an denen sich der Schutt ablagerte und das Wasser abfloss. Im gleichen Atemzug bildeten sich der Lago Maggiore, der Lago di Como, der Luganer See, der Lago di Varese und einige andere.

Nach fünf Tagen im Sattel, tut es mir fast leid, dass morgen der Letzte sein soll.

Tag 6 Lago di Garda - Sirmione
Auf der letzten Etappe wird nicht mehr angegriffen. So lautet das Gesetz. Der Treibstoff der letzten Etappe ist Espresso und Ad Blue Aperol. Auf Anraten eines Einheimischen nehmen wir die Ostroute bis Sirmione im Süden des Lago. Auf der Westseite gönnen sich die Südtiroler einen milliardenschweren Radweg, der seinen Platz in schwindelnder Höhe in den Felsen bekommen soll. Das umstrittene Prestigeprojekt soll 2026 fertig werden. Ein Grund mehr, nochmal hierher zu kommen.




Wirklich vorwärts geht es auf dem Küstenradweg nicht. Die Städte reihen sich wie eine Perlenkette dicht an dicht. Gegen Mittag herrscht ein Gedränge wie auf dem Kölner Karneval. Ein Stück seitwärts der Hauptroute klappt es besser. Dann sind wir am Ziel unserer Reise.



Wir checken ein letztes Mal ein. Das Parco Al Lago in Sirmione steht direkt am Wasser in traumhafter Lage. Liegestühle, Biergarten, Bar, Pool, An- und Aussicht auf alles, was dem Auge gefällig erscheint.

Am späten Nachmittag bekommen wir ein kleines Naturschauspiel als Zugabe. Das lokal ansässige Windsystem Ora zeigt was es drauf hat. Ora ist ein thermischer Südwind, der durch die einzigartige geografische Lage und die thermischen Unterschiede zwischen der Poebene und den alpinen Tälern entsteht. Aufsteigende warme und absteigende kalte Luft interagieren miteinander. Das schmale Tal des Lago di Garda schiebt gewaltig an. Es entsteht ein Düseneffekt wie bei einem Triebwerk. Binnen Sekunden sind die eingedeckten Tische abgeräumt. Während sich das Publikum in Sicherheit bringt, tue ich was ich am Liebsten mache., Fotos.



Auf die Frage, was die Zukunft der Rhöner Jungs angeht, habe ich eine Antwort:
PS Besten Dank für eure Begleitung













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