Europasommer 2022
Aktualisiert: 8. Okt. 2022
Fahrplan
0. Anreise
3. (Un)Ruhetage an Istriens Küste
3.2 Brainstorming Verudela Art Park
4. Dritte Etappe: Pula/ Kroatien - Piran/ Slowenien
5. Vierte Etappe: Piran/ Slowenien - Udine/ Italien
6. Fünfte Etappe: Auf dem Alpe Adria Radweg nach Kärnten
7. Sechste Etappe: Selbstüberschätzung
8. Siebte Etappe: Weniger als Nichts
9. Achte Etappe: Ankunft im Freistaat
10. Neunte Etappe: Die weibliche Blüte
13. Elfte Etappe: Das liebliche Taubertal
14. Zwölfte Etappe: Im Herzen von Europa
15 Die letzte, dreizehnte Etappe: FFM-Home Sweet Home
0. Anreise
Auch ein Aussteiger braucht gelegentlich eine Pause vom Ausstieg.
Sein Pausenbrot ist sein Bahnticket für den Eurocity EC113 von Frankfurt am Main nach Ljubljana. Für gut 100 Euro bekommt er 1000 Kilometer Sitzplatzreservierung mit Blick auf sein getreues HNF XD3 All-Terrain Begleitfahrzeug, ein Kaffee spendendes Bordrestaurant und jede Menge Alpenpanorama. Null mal Umsteigen verspricht ein leichtes Spiel zu werden.
Österreichs größter Mobilitätsanbieter ÖBB schiebt seinen Zug pünktlich 8Uhr auf Gleis 10 in den Sackbahnhof der Mainmetropole. Mann und Rad fahren zusammen im letzten Waggon mit der Nummer 275.
Soweit zur Theorie.

In den nostalgischen Abteilwagen mit hoher Eingangstür gibt es keine Fahrradstellplätze. Im schmalen Seitendurchgang hat schon der Lenker maximale Überbreite. Ganz vorne bei der Lok findet der Suchende einen Waggon mit einem aufgemaltem Bike an der Seitenfront. Es ist ein Güterwagen mit Haken an Decken und Wänden. Auch gut, denke ich und mache mich ans Werk. In komplementäres Blau der Zugfarbe gekleidet, kommt eine Schaffnerin auf mich zu und erklärt, dass es im Wagen 275 einen Befestigungshaken geben müsse, wenn es denn so auf meinem Ticket stehe. Ich denke, du mich auch, nehme meine Gepäcktaschen ab, laufe zum Zugende zurück und breite mich genüsslich auf meinem reservierten Sitzplatz 54 aus.

Ab Darmstadt wird der Zug voll und voller, ab München geht kein Apfel mehr zur Erde. Der Durchgang ist heillos verstopft mit Koffern Taschen und Menschen. In Salzburg verengt sich das Spaltmaß zwischen den Reisenden auf Tuchfühlung. Ich achte darauf, dass die Abteiltür stets geschlossen bleibt. Der gewiss mitreisende Virus möge bitte vor der Tür Platz nehmen, der Sitzplatz Nummer 54 gehört mir alleine. Kurz vor Villach verkündet die Stimme aus dem Lautsprecher, dass der Zug in wenigen Minuten getrennt wird. Die letzten drei Wagen werden abgekoppelt und fahren nach Ljubljana und Zagreb weiter. Der Rest des Zuges setzt seine Fahrt nach Klagenfurt fort.
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Suboptimal, denke ich, wenn mein Fahrrad ganz vorne im Zug steht und alleine nach Osten weiterfährt. Also raus in den Geschiebemergel aus Plastik und Ausdünstung und vor zum Güterwagen. Der Zug hält und ich stehe mit Rad und ohne Gepäck auf dem Bahnsteig in Villach. Zwei weitere Waggons rollen heran, werden angekoppelt. Im Habitus älter, enger, geschundener als der Rest des Zuges. Aus EC113 wird EC213. Die Türen des ersten Waggons sind so schmal, dass er als Transportmittel für ein Fahrrad von vorneherein ausfällt. Im zweiten bin ich drin, stehe im Gang zwischen den Puffern, blockiere die Klotür und den Ausstieg in Fahrtrichtung rechts. Platz 54 ist Geschichte. Ich hole mein Gepäck in die Verteidigungsstellung. Der Schaffner sieht mich, blickt zum Himmel auf und wirft dir Tür zu.

Der Grad der Bedrängnis einer Notdurft lässt sich präzise in den Augen ablesen. Mit dem dem Charme eines Reinemachfachangestellten verweise ich im Minutentakt auf die nächste Toilette gleich links im nächsten Wagen. Zuvorkommend öffne ich den Durchgang über die schabenden, ächzenden Bleche oberhalb der Puffer, wohlwissend, dass die Herrschaften auf ihrem Rückweg noch einmal an mir vorbei müssen. So kommt man auch in den Kontakt mit Menschen. Ein Serbe bleibt bei mir, wir reden über Fotografie. Ich gebe ihm meine Karte. In Ljubljana hilft er mir, Fahrrad und Gepäck aus dem Verschlag zu hieven.
Slowenien

Für die Auswahl meiner Unterkunft trage ich mir eine Eins ins Klassenbuch ein. Das Saint Ignatius Retreat Haus in der Ulica stare pravde 11 ist ein niveauvoll ansprechendes Quartier. Alles sauber, alles chic. Ein Haus mit ausgeprägter Willkommenskultur.

Ljubljana begrüßt mich ausgelassen, vielstimmig, gutgelaunt. Es ist Samstagabend, es ist angenehm warm und ich habe Hunger. Der Fluss Ljubljanica windet sich durch die Altstadt. Die Stadt lebt mit, auf und neben dem Wasser. Ihre Ufer werden von zahllosen Cafés, Bars und Restaurants gesäumt. Livemusik hält die Stimmung hoch und die Leute in Schwung. Die Stadt nimmt mich an, lädt mich ein, füttert mich. Ich verweile, schaue zu und genieße den Einstieg in meinen Europasommer 2022.
Seit Jahren hat Ljubljana den Ruf, eine der grünsten und saubersten Städte des Kontinents zu sein. An jeder Ecke finden sich exakte Mülltrennsysteme.. Die Stadt setzt Mitarbeiter für die Überwachung der Systemtechnik ein.

Gute Nacht meine Schöne

1. Etappe: Ljubljana --> Triest
Die Sonne steht bereits ziemlich hoch über dem St. Nikolaus Dom, als ich auf das Rad steige. Vor mir liegen hundert Kilometer Wälder, Flüsse, Dörfer. Fast 60 Prozent der Landfläche sind mit Hecken, Sträuchern und Bäumen zugewachsen. Es sollen zwischen 500 und 700 Braunbären darin ihr Zuhause haben. Mal schauen, ob mir ein Zotteltier über den Weg läuft.
Bis gestern kannte ich das kleine Land südlich der Alpen nur als Transitland auf dem Weg an die Küste Kroatiens. Hinter dem finsteren Karawankentunnel folgte das Navi stets dem graublauen Beton- und Asphaltstreifen über Ljubljana nach Koper an die Grenze nach Kroatien. Müde und abgespannt von der langen Fahrt eilte Slowenien wiederholt unbeachtet an meinem Autofenster vorüber.
Das möchte ich ändern, darum bin ich hier.

Mein Streckenverlauf folgt in groben Zügen der E61. Hinter Ljubljana wird es schnell ländlich, besonnen und still.
Die Ruhe wird förmlich greifbar, wenn Hunde und Katzen mitten auf der Dorfstraße liegen bleiben, während du freundlich grüßt und vorüber rollst. Kühe, Pferde und Ziegen machen im Schatten von Obstbäumen Siesta. Nicht mal ein Schaf ist so dumm aufzustehen, wenn ein Ausländer mit einer Knipse daher kommt und sich vor ihm aufbaut.

Beim Anblick der Wälder traue ich meinen eigenen Augen nicht. Alles steht im Saft. Sämtliche Baumarten, die ich aus der Heimat kenne, reihen sich in trauter Vielfalt dicht zusammen. Selbst die Fichten tragen bündelweise dicke Zapfen bis in die entlegensten Wipfel. Laubwald dominiert, Nadelbäume sind eingestreut, Haselnusssträucher füllen die Lücken. Slowenien ist ein stiller Leuchtturm intakter Biodiversität.
Ich fühle mich gleich selbst ein bisschen gesünder, wenn ich sehe, dass es dem Wald gut geht.
Slowenien ist eigen, pflegt seine Mythen, wie die vom Drachen und dem tapferen Dreizehnjährigen oder überrascht mit der pfiffigen Gestaltungsidee eines Bushäuschens.
Am späten Nachmittag liegt mir die Adria zu Füßen. Die Grenze zu Italien habe ich unbemerkt irgendwo im nirgendwo überschritten. Vor mir Triest, mein heutiges Tagesziel.
Italien
Check in, Dusche, Espresso. Der Pause folgt der Hunger nach Leben, nach Stadt, nach Menschen. Ich packe mein Werkzeug ein und drehe eine Runde zur blauen Stunde.
Menschen im 21. Jahrhundert


Italien präsentiert Pasta mit Meeresfrüchten. Unser aller Ursprung liegt im Wasser, meiner im Besonderen. Noch heute esse am Liebsten meine Mitbewohner auf.

2. Etappe: Triest --> Pula
Die slowenische Küste ist 46,6 Kilometer kurz. Sie reicht von der Stadt Ankaran an der nördlichen Grenze zu Italien, bis hinunter nach Sečovlje – den berühmten Salzgärten an der Grenze zu Kroatien.
Im dichten Verkehr folge ich den großen Ausfallstraßen aus Triest heraus. Dann geht es die Berge hinauf. Halleluja, die Anstiege sind maximal grenzwertig für meine Enviolo- Automatik Schaltung. Ab 22 Prozent Steigung fahre ich Schlangenlinien um nicht schieben zu müssen. Oben angekommen, geht es nicht mehr weiter. Endstation Baustelle. Ich komme nicht durch, fahre die gleiche Strecke wieder runter und suche mir eine Alternative in Richtung Süden.
Kroatien

An der Grenze von Slowenien nach Kroatien verlangt ein Beamter meinen Pass, der ihn nicht im geringsten interessiert. Der Typ klebt mit seinen Nüstern an meinem Fahrrad, zu verklemmt um Details nachzufragen, zu sehr Beamter um sich das zu erlauben.
Grenzkontrollen ins b