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Der Rhöner 2.0

Beitrag: Blog2 Post

2018 Vom Stoma befreit: Sachsen - Böhmen - Oberösterreich

Aktualisiert: 25. Sept. 2022


Mein erster Blick auf der Intensivstation im Klinikum Do galt unter die Decke nach meinem Bauch. Der Beutel war weg. Überglücklich habe ich die Augen wieder geschlossen. Pure Erleichterung. Ein Hauch von Adrenalin strömte vom Kopf bis in die Zehenspitzen.

Verschlaucht und verkabelt verbrachte ich eine Woche inmitten intensiv dreinblickender Augenpaare emsiger Ärzte und Pfleger. Nach 4 weiteren Tagen auf A17 im obersten Stock des Klinikums hielt ich meinen Entlassungsbrief in den Händen. Zuhause erwarteten mich Anja, meine Familie, meine Freunde.

6 Wochen später habe ich mich mir 2 Wochen Freigang genehmigt.

Ich war wieder da, den Lenker fest im Griff, die Straße vor und den Himmel über mir.

Es sollte sich anfühlen wie die letzte Etappe der Tour de France entlang der Champs Elysee



Samstag, 15. September 2018

Auf dem Parkplatz der Sprengschule Dresden liegen zwei Hunde vor einem Wohnwagen in der Morgensonne. Ein übergewichtiger kesselschwarzer Mops stellt die Ohren auf, als der Skoda neben seinem ausgebreiteten Handtuch zum Stehen kommt. Mühsam erhebt er sich und kommt um den Wagen. Ich öffne die Tür und der Kerl grinst mich an. Ich streiche über seinen Kopf und er legt sich auf den Rücken. Sein Frauchen ruft, er nimmt sie nicht für voll.

Also nehme ich ihn hoch und bringe ihn zurück.

Der Schäferhund auf seinem Badetuch nimmt keine Notiz von seinem Kumpel. Die Frau im Wohnwagen hat einen Mann und der macht gerade seinen GBL Schein. Ich bitte Sie ein Auge auf mein Auto zu werfen und verabschiede mich.

Die Strecke bis Usti kenne ich bereits. Im Tal des Elbsandsteingebirges schieße ich ein Foto und sende es an Eberhard. Er steht mit Andreas Wallat oben auf der Brücke zwischen den beiden Felsen. Prompt kommt ein Foto von oben nach unten. Mit lieben Grüßen.

Kurz vor Usti bitte ich HRS um ein Bett. Fehlanzeige. Kann nicht sein. Doch, Booking hat auch keines. Die Antwort kommt wild hechelnd um die Ecke. Noch einer und noch einer, dann noch eine mit Startnummern auf dem Shirt. In Usti ist Marathon. Die Einfallstraßen sind von der Polizei abgesperrt. Zuschauen kommt auch gut. Bis sich eine Radgruppe anschickt links in einen Waldweg abzubiegen. Ich folge. Zwanzig Minuten später stehen wir wieder an der Elbe.

Ich versuche es nochmal bei HRS. Ein Zimmer ist frei im besten Haus am Platze. Nicht ganz billig, war klar. Nur ist das Vetruse ganz oben auf dem Berg. Eine Seilbahn bringt die Gäste empor. Ich suche nach dem Fahrweg und finde ihn. Gut das noch genügend Akku zur Verfügung steht.

Tolles Haus mit guter Küche. Die Kellnerin bringt russischen Borschtsch und Pilsener Urquell auf den Tisch.

Danke, lecker. Gute Nacht.




16.09.2018

Hinter Usti nad Labem (Ausig) ist die Elbe aufgestaut. Zwischen Strekov und Tynec nad Labem sorgen 8 große Schleusen entlang der Elbe für zusammenhängende schiffbare Wasserflächen. Der Radweg führt die meiste Zeit direkt am Wasser entlang und ist gut ausgebaut. Die nordböhmischen Städte und Dörfer zwischen Ausig und Prag leiden noch immer unter den Spätfolgen des Kommunismus. Bröckelnder oder fehlender Putz an den Häusern, seit Jahren mit Pflanzen überwucherte verlassene Gehöfte lassen an unsere eigene Vergangenheit erinnern. Zahlreiche Industriebrachen säumen den Weg bis Melnik, jener Stadt an dessen Toren die Moldau in die Elbe mündet. Hier zweigt der Radweg nach Prag ab. Die Moldau befindet sich im Vollstau zwischen Melnik und dem Böhmerwald. An 10 Staustufen werden Strom hergestellt, Schiffe geschleust und Erholung ermöglicht. Je weiter man sich Prag nähert um so ausgefeilter zeigt sich die Infrastruktur. Die Prager sind ein Volk der Skater geworden. Auf den letzten 20km vor Prag ist kaum ein Durchkommen auf dem Weg. Direkt am Fluss sitzen scharenweise Angler mit und ohne Zelt, wie an einer Schnur geperlt.

Angekommen in der Goldenen Stadt bitte ich Frau Google mir den Weg zum Hotel in die Ohren zu flöten.




17.09.2018 Ruhetag

Das 4 Sterne Hotel Don Giovanni steht auf einem Hügel im Stadtteil Prag 3. Es ist eine Hommage an den Musikerfürsten W. A. Mozart. Im Atrium thront eine lebensgroße Statur unter einer gewaltigen Glaskuppel. Die Gänge, Zimmer und Restaurants sind ein Ensemble seines Schaffens. Auf Bildern und in großen Schriftzügen wird an sein Lebenswerk erinnert. Was nicht verstanden habe war der Preis für eine Übernachtung mit Frühstück: 35€. Der Versuch um eine weitere Nacht zu verlängern ist leider gescheitert. Ausgebucht.

Direkt neben dem Hotel befinden sich die Wolschaner Friedhöfe. Innerhalb der größten Friedhofsanlage Prags ist auch der jüdische Friedhof auf dem Frantz Kafka und seine Eltern beerdigt sind.


Frantz Kafka (1883-1924)

42 bewegliche Ebenen der elf Meter hohen Skulptur formen das Gesicht des bekannten tschechischen Schriftstellers Franz Kafka. Diese 39 Tonnen schwere Büste des Künstlers David Černý steht seit November 2014 neben dem neuen Einkaufszentrum Quadrio, direkt über der Metrostation Národní.



Die Metrotation Rajská zahrada ist in Tschechien für ihre architektonische Gestaltung zum „Bau des Jahres 1999“ erklärt worden. Die beiden Streckengleise verlaufen hier oberirdisch übereinander.

Sie befindet sich im Nordwesten der Stadt. Mit einem Tagesticket (gültig 24h 110 Kronen = 4,33€) ist das Bauwerk leicht zu erreichen.




18.09.2018

Der Tag beginnt mit dem Versuch intuitiv aus der Stadt herauszufinden und an den Fluss zurückzukehren. Der Sonne auf 10Uhr in Richtung Süden folgend, bin ich zunächst zu weit östlich in die Trabanten Vorstädte gefahren. Wohnblöcke reihen sich in altbekannter Weise aneinander. Dichter Verkehr drängt sich auf mehrspurigen Fahrbahnen. Die täglichen Pendler werden in die Stadt zur Arbeit geschleust. Verkehrspolizisten stehen mitten im Dickicht und regeln das Chaos. Nach 25km Irrfahrt bin ich wieder an der Moldau. Die behagliche Stille und Langsamkeit lädt zum zweiten Frühstück ein.

Bei Skochovice ist Schluss mit lustig. Der zweispurig ausgebaute Radweg endet abrupt. Das Tal verengt sich, es geht über die Berge. Von Alve bis Stechovice geht's weiter am Fluss entlang über eine Landstraße. Ab da wird's wieder steil.

Die Moldau sehe ich heute nicht mehr. Ich folge der Sonne in Richtung Süden, durch eine Hügellandschaft mit zahlreichen Dörfern. Ein bisschen wie in der Rhön.

Booking bietet eine mondäne Unterkunft für kleines Geld.




19.09.2018

In Südböhmen hat der Kapitalismus seinen Siegeszug angetreten. Hier bröckelt kaum mehr Putz von den Wänden, neue Einfamilienhäuser entstehen, Straßen werden asphaltiert. Das Gesamtbild ist ein anderes. In Südböhmen scheint das Gras grüner.

Die ersten 20km rennen nur so dahin und lehren ganz nebenbei das Fürchten. Straßen mit einstelliger Bezeichnung sollte man unbedingt meiden, dann ist man auf der Autobahn. Zweistellige Straßennummern sind gut ausgebaute Bundesstraßen. Auch von diesen sollte der Radfahrer möglichst Abstand halten. Auf dreistelligen Straßen gibt es in der Regel keine Mittelstreifen. Dort bist du der König. Autos kommen oft nur mit Mühe in freier Fahrt aneinander vorbei.

Die Straßen 3.Ordnung atmen vor allem Eines: Apfelduft von frisch bis vergänglich. Apfelbäume so weit das Auge reicht. Die Straßengräben liegen voller Früchte.

Der erste Anlaufpunkt des Tages ist die Orlik Talsperre. Sie ist die größte Tschechiens, ein bedeutendes Glied in der Moldau-Kaskade und wurde für die Stromerzeugung, den Hochwasserschutz und zur Wasserregulierung der Moldau erbaut. Außerdem wird Freizeit hier groß geschrieben.

Das heutige Tagesziel ist Pisek, eine 30.000 Seelenstadt an der Wottava, einem Nebenfluss der Moldau.

Nach 88km strömt heißes Wasser in eine Badewanne auf deren Rand ein frisch gezapftes Pilsener Urquell wartet.




20.09.2018

Morgennebel liegt über der Stadt. Kühle dringt bei rascher Fahrt durch die Jacke. Ich krame die Handschuhe aus der Tasche. Gegen 10Uhr ist die Sonne wieder da und sofort ist es warm. Was anfänglich noch weh tat ist in Gänze verschwunden. Nach dem dritten Tag kannst du fahren als gäbe es kein Morgen mehr.

Auf dem Weg nach Krumnau an der Moldau (Cesky Krumlov) ist meine geliebte Straße 3.Ordnung immer wieder auf Grund von Baustellen gesperrt. Zweimal fahre ich über einer Wiese dran vorbei, einmal schiebe ich das Rad über einen Hühnerhof zurück zur Straße. 13Uhr sind die knapp 90km Geschichte.

Ich hatte keine Ahnung was hier abgeht. Krumnau an der Moldau ist eine Touristenhochburg, ein Postkartenidyll das von abertausenden Asiaten in Beschlag genommen ist.

Dennoch, die Altstadt ist eine klare Kaufempfehlung, sollte man gesehen haben.





21.09.2018

Das Beste vorweg, die Wirtin des Gasthofes Gierlinger in Obermühl an der Donau serviert gerade eine leckere Fischsuppe.

https://www.gasthof-gierlinger.at/startseite.html

Doch beginnen wir von vorn. Die morgendliche Fahrt beginnt wenige Kilometer nach Krumnau mit einem knackigen Anstieg. Auf 25km geht's rauf auf 1000m bis zu Lipno Talsperre. In Frymburk setze ich mit der Fähre auf die andere Seite über. Hier endet das Elbe--Moldau Rendezvous. Nach wenigen Kilometern in südlicher Richtung passiere ich die österreichische Grenze. Entlang kleiner Straßen und Gefällestrecken bis 20% geht die Fahrt rasant vorwärts. Wie so oft in Österreich überkommt mich das Gefühl durch eine aufgeräumte Puppenstube zu fahren. Bis runter zur Donau bleibt dem Radler nur die lebenserhaltende Aufgabe den Lenker mit beiden Händen fest zu halten.

Das Beste vom Besten kommt zum Schluss und unverhofft in Form von zwei Männern und einer Frau. Während ich genüsslich meine Fischsuppe auf der Terrasse des gut besuchten Gierlinger an der Donau löffele, bitten die drei um einen Platz an meinen Tisch. Wir kommen rasch ins Gespräch und finden gut zueinander. Die Linzer Pensionäre haben beide ein Boot am Steg des Gierlinger liegen. Spontan werde ich zu einer Spritztour eingeladen. Angetrieben von 150PS springt das Schlauchboot über die Wellen der Donau. Was ein Hammer Spaß bei 30 Knoten selbst am Ruder zu stehen! Ganz liebe Leute!

Ich bin begeistert :)))





22.09.2018

Über Nacht hat das Wetter umgeschlagen. Pünktlich zur Geisterstunde bläst ein Sturm die Zimmergardienen gegen die Decke. Einsetzender Regen trommelt über Stunden auf die Kupferbleche der Veranda. Eine schier unauffindbare Mücke besorgt den Rest der Nacht.

Kurz nach 8 schlage ich die ersten Haken um uferlose Pfützen in Richtung Passau. Der Regen hat aufgehört, der Sturm nicht. An der allseits bekannten Schlögener Schlinge geht's nicht weiter. Die erste Fähre kommt um 10. Da ich Wartezeiten und Stau nicht leiden kann nehme ich den Wanderweg rauf auf den Kamm (550).

Hinter Niederwaldkappel schlängelt sich die Straße eng am Fels wieder hinab. Trotz kräftezehrendem Gegensturm tauchen am Mittag die weißen Türme des Passauer Doms hinter der Netzhaut auf.

Ein Bahnticket ist schnell gebucht. 21Uhr soll der Zug am Dresdener Hbf einfahren. Ich bin gespannt ob der kesselschwarze Mops einen guten Job erledigt hat.






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