
Nach einem Jahr Stomaversorgung sehnte ich deren Ende herbei. Ich war weder gut noch geschickt darin, regelmäßig die Beutel zu wechseln, die Klebeflächen zu reinigen oder Ersatz zur Unzeit parat zu haben. Ich war ein quengeliger Stoma Patient dem dieser stetig anwachsende Beutel beständig auf den Sack ging. Das habe ich leider auch mein Umfeld spüren lassen. Dafür entschuldige ich mich.
Ein Jahr nach der SEC (Zytoreduktive Chirurgie) und der HIPAC hat Prof. Dr. Jürgen Zieren der Rückverlegung zugestimmt, nicht aber ohne eine Forderung aufzumachen.
" Kommen Sie bitte fit in die Klinik. Machen Sie vorher noch eine ausgedehnte Tour mit ihrem Rad."
Ich gehorche.

23.Mai 2018
Eigentlich wollte ich in Dresden starten und über Prag und Budweis nach Passau fahren.
Es kam anders. In Gnaschwitz fließt die Spree, aus dem Zittauer Gebirge kommend als kleines Flüsschen am Sprengstoffwerk vorbei. Aus einer weit zurückliegenden Schwärmerei von Reimund Göder über die Schönheit der Lausitz erinnernd, war die Entscheidung plötzlich da. Glasklar wie das Wasser, dass über die Steine lustig abwärts fließt. Bautzen Berlin musst du machen Jo, es wird dir gefallen.
Bautzen ist schnell erreicht. Entlang schroff aufregender Felswände schmiegt sich der Radweg eng ans Gestein. Die Stadt hat seinen Fluss ausgesperrt. Er markiert den Verlauf der äußeren Festungsmauern. Hinter der A4 gelangt man zum Stausee. Ein Stück weiter endet die Aufregung. Der Weg führt durch kleine Orte mit schmalen, teils gepflasterten Straßen nach Norden. Und schon bin ich das erste Mal falsch. Der Weg endet einfach. Ein Stück zurück finde ich ein winziges Holzschild mit der Aufschrift Malschwitz. Es weist auf einen Trampelpfad. Ich folge. Genau, das ist meins. Erlen und schilfbewachsene Teiche. Birken säumen Wiesenränder. Libellen begleitet mich.
Die Welt atmet aus. Irgendwie verwunschen die Lausitz, schläfrig, wie im Märchenland. Und so geht das immer weiter. Kiefernwälder, Teiche und Sandwege. Nach 60km erreiche ich das Braunkohlenrevier Boxberg. Vor mir erstreckt sich der Bärwalder See, eine geflutete Braunkohlengrube, mit vielen Fördermillionen aufgepeppt und ausgebaut. In einer Gartensiedlung bekomme ich ein Steak, buche eine Pension im Netz.
Der Kneiper ist ein mürrischer Kerl, unzufrieden mit sich und der Welt. Ich lade ihn zum Bier ein. Er schimpft über die Politiker, die schwachsinnigen Hohlköpfe, die Politik an ihm, seiner Kneipe und der Pension vorbei machen. Fördermillionen gibt es nur für 4 Sterne Hotels. Er hat das Kulturhaus für dreißig Scheine gekauft und umgebaut. Die Banken, diese Verbrecher geben dir kein Geld. Die kleinen Kneipen machen sie kaputt, die Idioten. Von November bis April kannst du hier die Türen verschließen und im Keller Winterschlaf halten. Nach hier kommt keiner. Idioten alles Idioten.
Er zapft mir noch ein Bier. Ich nehme es mit nach oben auf die Stube.
Der Querulant von gestern hat mir den Findlingspark in Nochten für heute empfohlen. Dieser befindet sich auf unweit der Gemeinde Nochten auf einem Tagebaufeld des Kraftwerks Boxberg. Es ist eine gartengestalterische Ansammlung von rund 60.000 skandinavischen Findlingen die von der letzten Eiszeit als Gastgeschenk an die Lausitz gemacht wurden.
Alles angereiht in großer Ordnung zwischen Heidengewächsen und Golfrasen. Ich habe mich darin gefühlt wie ein geschniegelter Lackaffe im Zoo der Steine. Ok, wem es gefällt...
Nächste Station Spremberg. Auf den vierzig Kilometern asphaltiertem Radweg zwischen Tagebaufeldern und militärischem Sperrgebiet sind mir 3 Menschen begegnet. Kein Wunder das der Kneiper sauer ist.
Spremberg ist Kreisstadt mit Markt, den Kirchen beider Konfessionen, ist Kleinod mit Anspruch. Das Treiben der Menschen fühlt sich gut an. Cafés an jeder Ecke, Einkaufsgedöns mit den üblichen Verdächtigen, alles neu gestrichen und schick hergerichtet.
Hinter dem Markt ragt der Backsteinbau der evangelischen Kreuzkirche hervor. Ich stelle mein Rad vors Eingangstor. Es anzuschließen scheint unangebracht. Der freundliche Eindruck schafft Vertrauen. Der dreischiffige Bau ist die Wohnstube der Lausitzer Christen. Ich trete ein, werde persönlich begrüßt. Ein Rentner bietet mir seine Führung an. Ich lehne dankend ab und schau mich um. Es gibt zwei Altäre von denen augenscheinlich einer aus einer anderen Zeit oder Gegend stammt. Also frage ich doch den Opa.
Der strahlt und beginnt seinen Redeschwall. 14 Gemeinden des Kreises Spremberg sind dem Tagebau zum Opfer gefallen. Die meisten Leute wurden in die Kreisstadt umgesiedelt. Den zweiten Altar hat eine Kirchgemeinde mitgebracht. Zu guter Letzt trage ich mich noch ins Gästebuch ein. Opa ist glücklich.
Zwischen Spremberg und Cottbus gibt es neben der Talsperre vor allem Eines, Wald. Das Rad rollt durch sich stetig wiederholende dicke cremeweiße Blütenteppiche. Unebenheiten sind kaum noch zu erkennen. Starker süßer Duft kündigt die Bettvorleger schon der nächsten Kurve an. Akazien, die eigentlich Robinien sind, haben sich in den letzten hundert Jahren vor allem in Brandenburg breit gemacht. Es gibt sie in vielen Arten und Unterarten von Strauch bis zum Baum. Eines ist ihnen gemeinsam. Eine Fahrt durch ihre Welt ist ein einziges großes Honigglas.
Die Spree trottet gleichsam gemächlich voran, ist gelb bis braun und lieb. Das angekündigte Highlight von Cottbus ist der Branitzer Park, die Heimstätte von Fürst Pückler. Alles fein, frisch gemäht, die Wege gerecht, die Beete gebügelt. Ich werde angeblafft, 'Fahrrad fahren verboten'. Mit 'Rumzicken auch' lade ich mir den Geifer einer ganzen Busladung an den Hals.
Vorbei am Energie Stadion geht's quer durch die Stadt. Frau Google geleitet mich wohlbehütet hindurch.
Die Glasfassade der TU beeindruckt. Westlich der Stadt finde ich wieder auf den Radweg der Hauptspree. Ab hier beginnt der Spreewald. Erstmal ohne Wald. Frisch gemähte Wiesen wechseln sich mit frisch sanierten Dörfern ab. Ab Burg fühlt es sich richtig an. Kanäle rechts und links, schmale Brücken über die immer nur ein Auto passt. Fast kitschig wie aus dem Bilderbuch präsentiert sich die Gegend.
HRS lässt grüßen. Mein Hotel kommt gleichermaßen einladend daher. Dem Besitzer geht's gut. Er ist an Leibesfülle nicht zu übersehen.
Der laue Abend endet im Biergarten neben der Bootsanlegestelle.


25.Mai 2018
Irgendwie komme ich heute nicht in die Gänge. Erst bedauere ich den späten Frühstücksbeginn (8.00Uhr) dann schmiere ich mir meine one and only Stulle erst kurz vor 9. Schon fast 10, schwinge ich meinen Hintern auf den Sattel und fahre in die verkehrte Richtung. 18 Kilometer weiter grüßt mich mein Hotel von links. Umwege erhöhen die Ortskenntnis.
Der verkorksten Ouvertüre folgt das vorgezogene Finale Grande. Das Postkartenidyll 'Spreewald' beginnt nur wenige Kurven hinter Leipe. Leider fehlen mir die sprachlichen Mittel um die endorphinen Ergüsse des Hypothalamus in Worte zu kleiden. Es ist einfach scheiß geil auf den sieben Kilometern bis Lübbenau. Die flach einfallende kräftige Morgensonne trifft auf die Reste des aufsteigenden Nebels aus letzter Nacht. Im kristallklaren Wasser tummeln sich Schwärme von Fischen. Eichen Erlen und Birken werfen ihre langgezogenen Schatten, treffen sich kreuzen sich verneigen sich vor dem Besucher. Es ist Vielfalt des großen Meisters der alles Licht in einem Bild vereint. Auf der Palette des Malers werden die Reflexionen des Wasser, das Chlorophyll der üppigen Vegetation mit dem Blau des Himmels und dem Weiß der Cumulus Wolken vermischt. Selten habe etwas derart perfektes, vollkommenes gesehen. Es endet ebenso unvermutet wie es begann. Der Streckenabschnitt ist ein Lehrpfad des Glücks.
Lübbenau ist Anfangs- und Endpunkt der meisten Kanutouren. Die Professionalität der stakenden Kapitäne hat mich beeindruckt. Die Herrschaften vermarkten sich ebenso erfolgreich wie ihre Gurken. Es passt einfach, Ausstattung Auftreten Konformität bilden eine komplexe Form von Schönheit.
Auf dem Weg nach Lübben öffnet sich die Landschaft. Sie duftet anders, am stärksten nach Holunder. Vornehmlich weiße Rinder bevölkern die Wiesen. Dazwischen immer wieder kleinere Kanäle als natürliche Barrieren. Die Gegend mutet an wie die Camargue des Nordens.
Im Unterspreewald ab Schlepzig dominieren die Kiefern. Es ist extrem trocken. Sand füllt allmählich das Schuhwerk. Die letzten dreißig Kilometer bis Beeskow absolviere ich im Vollspeedmodus. Keine natürlichen Feinde gefunden.


26.Mai 2018
Lecker Frühstück im Beeskower Schwan. Ich liebe geräucherten Lachs und den gibt es mit Meerrettich oder Senf Vinaigrette und verschiedenen Beilagen. Anschließend Zwangspause, Zuviel gefressen.
Der Weg Richtung Fürstenwalde führt durch eine lichte Landschaft vorbei an Wiesen Feldern Äckern und Laubwäldern. Die Sonne lacht, Blende 8. Nur bin ich heute irgendwie zu faul dazu. Es radelt sich so schön vor sich hin. Die Beine machen was sie sollen, der Hintern bereitet keine Probleme, die Nase ist in den Wind gestellt. Es ist weder zu warm noch kalt, Jo lächelt glückselig in die Morgensonne.
Bis zum nächsten Kopfsteinpflaster. In der Zufahrt zur Schleuse Woltersdorf reißt ein Halter der Satteltasche ab. Nach einiger Sucherei finde ich die verloren gegangene Mutter tatsächlich wieder.
In Fürstenwalde steppt der Bär. Das Stadtfest ist im vollen Gange. Rund um den Dom ist Budenzauber, Antenne Brandenburg heizt tüchtig ein. Bratwurstfett tropft auf verschwitzte T-Shirts Bierbecher fallen von der Bank, das Volk feiert. Auf den Spreewiesen finden die Europameisterschaften der Highland Games statt. Dudelsäcke spielen auf.
Kleintierzüchter, Gesangs- Trachten und Sportvereine sind vollzählig erschienen. Die dritte Kraft zwischen Staat und Bürger lebt. Der gemeinhin belächelte Verein ist und bleibt ein demokratisches Bindeglied der Gesellschaft. Er gibt jedem Mitglied die Möglichkeit im Kleinen etwas zum Besseren zu verändern. Vereine sind der Kitt der Gesellschaft.
Ich brauche gefühlt eine Stunde um hindurch zu gelangen. Von Fürstenwalde bis Erkner geht's durch endlos erscheinende Kiefernwälder.
Um 15Uhr stehe ich nach 396km vor den Toren Berlins.
HRS wickelt mich in saubere Bettlaken. Edeka stellt eine Tüte mit Würstchen Brötchen und Bier neben mich aufs Kingsize Bett. Lev Tolstoi lässt Bonaparte die Grenze zu Russland überschritten.

27.Mai 2018
Was ein Tag. Icke war och da.
Der Südosten Berlins ist ein Dorf. Wenn es nicht dranstände würde man es nicht bemerken. Von Schöneweide bis Baumschulenweg erstreckt sich der Volkspark Wuhlheide. Vorbei am FEZ, Berlins großem Freizeit und Erholungszentrum folgt der Treptower Park rechts und links der B96a.
Mit dem Rad ist man im Handumdrehen an der Currybude auf dem Alex. CW+P+CC sind einfach Pflicht.
An der Uhr, am Turm, am Rathaus und Neptunbrunnen vorbei, dann 2x rechts 2x links und die Museumsinsel taucht auf. Auf der Zielgeraden schlägt das Herz bis zum Hals.
Auch ich kann nicht widerstehen und versuche ein Selfie. Ein Fremder kommt daher und bietet seine Hilfe an. Gesagt getan perfekt Danke.
Hinter dem Tor ist Demo. Die AfD ist der Veranstalter. Bis zur Siegessäule ist alles abgesperrt. 5000 AfD Anhänger sollen sich versammelt haben. Neugier ist Benzin im Blut. Durch den Tiergarten gelangt man zum Gauland Gefolge. Ich höre zu aber kann ihn nicht ertragen.
Der Infiltration enteilend fahre ich der Gegendemo mit 25.000 Menschen in die Arme. Das Regierungsviertel ist dicht. Auf Umwegen suche ich einen Weg zum Bahnhof, gerate in einen Tumult der Rechten mit der Polizei.
Ab 15Uhr sitze ich im Zug nach Bautzen. Über Lübbenau geht's nach Cottbus und Görlitz und schließlich nach Bautzen. Hier fühle ich mich schon fast wie zu Hause. Das Hotel hat zu, Sonntag ist Ruhetag. Zweifellos haben sie Recht. Ich drücke den Nachtknopf, eine Stimme meldet sich. Wir sind auf dem Stadtfest, ihr Schlüssel liegt links auf dem Heizkörper. Manchmal ist es beruhigend wenn Dinge so bleiben wie sie sind.
Morgen geht es wieder nach zurück in den Alltag.
Wie schön das es ein Heute gibt.

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