Reisetagebuch - Fischland Darß
- Joachim Milde
- 29. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 30. Mai
Wir reisen für eine Geschmacksknospenmassage ans Meer, packen ein paar Sachen ein und tuckern auf den Darß. Dorthin, wo der Küstennebel in Gläsern serviert wird, wo es grüne Heringe mit Bratkartoffeln gibt, Fischsuppe, Dorsch, Lachs, Zander, Scholle und Aal. Gebraten auf dem Teller, eingelegt im Fass oder geräuchert direkt im Brötchen.

Wir rutschen hinauf auf den zwei Meter hohen eiszeitlichen Sandhaufen zwischen Ribnitz Damgarten, Ahrenshoop, Prerow und Zingst. Hinauf auf die Halbinsel die einst eine Insel war, als sich die Mündungsarme der Regnitz im Norden und Süden direkt in die Ostsee ergossen, hinein ins Fischerdorf Wustrow. Swante Wustrow, die heilige Insel prangt es von den Schautafeln im Dorfkern.


Doch wie der Mensch so ist, war das Heiligtum der Einen, der Sanddorn im Auge des Anderen. 1395 wurde die Flussmündung durch die Gier und den Geiz der Hansestädte zugeschüttet um Ribnitz Damgarten den Zugang zur Ostsee zu erschweren. Seither mündet die Regnitz in den Saaler Bodden. Der einstige Abfluss verlandet und versandet über die Jahrhunderte stetig weiter.
Aus der Luft sieht der Darß aus wie das traumschwangere Aquarell eines großen Künstlers, einer Mischung aus grün und Brauntönen mit sandfarbenen Rändern die im tiefen Blau der See ertrinken.


Das Leben der Küstenmenschen war bis ins 19. Jahrhundert hinein karg und anstrengend. Die Geschichte nennt sie Büdner, was wie man sich denken kann, von Bude abgeleitet ist. Kleine, meist quadratisch angelegte Grundstücke brachten wenig landwirtschaftlichen Ertrag. Jeder Quadratmeter musste für den Lebensunterhalt genutzt werden. Die Fischerei war ein willkommener Nebenerwerb. Mensch und Tier lebten eng zusammen unter einem Dach.

Bereits im 17. Jahrhundert tauchte die Berufsbezeichnung der Schiffer auf, in einer Zeit in der die Seefahrt noch recht gefährlich war. Die Ortschronik berichtet von 500 Seeleuten, die im Laufe der Jahrhunderte auf und im Wasser umkamen. Sündige Handlungen Jugendlicher wurden nicht einfach mit Hausarrest bestraft. Wer etwas ausgefressen hatte, musste mit raus aufs Meer.
Zweiter Teil
Bereits im 13. Jahrhundert, als Wustrow das erste Mal urkundlich erwähnt wurde, existierte auf der Seeseite ein kleiner Fischerhafen, am sogenannten Permin, genau dort, wo einst die Pregnitz die Ostsee küsste. Heute dreht sich an der Stelle ein kleines Windrad. Bekannt ist er als Störtebeker Hafen, wenngleich es keine gesicherten historischen Belege gibt, dass Klaus Störtebeker je da gewesen ist. Doch in jeder Legende glüht ein Fünkchen Wahrheit.

Der heutige Fischländer Hafen befindet sich im Saaler Bodden, also auf der Ostseite der Halbinsel. In der Blütezeit der Segelschifffahrt hatten 240 Segler in Wustrow ihre Heimat.

Wustrow hat einiges zu bieten; dem Touri wird so schnell nicht langweilig. Neben der Seebrücke gibt es ein kaiserliches Postamt, eine Segelschule, eine Kurklinik, drei Bäcker, einen Fleischer, eine Apotheke, ein paar Nippesgeschäfte, die Evangelische Petri-Kirche und zahlreiche Restaurants. Alle haben wir nicht geschafft. Wustrow hat mehr Restaurants, Kneipen und Cafés, als ich Finger an beiden Händen zählen kann. Unsere persönliche Empfehlung ist die gutbürgerliche Küche der Schifferwiege und das Gesamtkonzept von Lucy's. In Lucy's bekommt man eine ausgezeichnete Geschmacksknospenmassage serviert. Gegenüber im Schimmels in der Parkstraße 1, kocht der gekrönte Ralph Schulze-Schimmelpfennig mit seiner Frau Maren. Leider haben wir es nur bis zur Türklinke geschafft. Dort muss wochenlang vorher ein Tisch bestellt werden.


Anno 1845 schrieben acht Wustrower Seeleute einen Brandbrief an ihren Landesfürsten. Bildung war gefragt, um die Seefahrt sicherer zu machen, fremde Sprachen und Kulturen zu verstehen und erfolgreich in Handel und Wandel sein zu können. Ihr Ruf wurde erhört.
Der erste Unterricht an der Großherzoglichen Navigationsschule Wustrow begann am 16. November 1846.
Fortan wurden Seeleute und Kapitäne ausgebildet. Von Wustrow aus konnte man die Welt besegeln, auswandern oder Handel betreiben. Mit dem Aufkommen der Dampfschifffahrt und der Eisenbahn war der Niedergang der Segelschifffahrt besiegelt. Um 1900 kam sie völlig zum Erliegen. Die Navigationsschule blieb und passte sich an. Sie hat den Ersten und Zweiten Weltkrieg überstanden, die Wiedervereinigung nicht. Für das ostdeutsche Wustrow gab es im Verbund der Seefahrtsschulen keinen Platz. 1992 fiel die Eingangstür ins Schloss. Knapp 30 Jahre später übernehmen die Touristen die Schul- und Sandbänke in Wustrow. Toll und schick ausgestattete Appartements sind eine Einladung zum Verweilen. Auf den Fluren der einstigen Navigationsschule ist deren Geschichte nachzulesen.


Es gibt noch eine ganze Menge mehr über den Darß zu berichten. Das Leben ist wie die Liebe: Wo sie eben hinfällt - manchmal auf einen großen Sandhaufen.
Ich habe noch keine bessere, gefühlvollere und anschaulichere Beschreibung des Darß gehört und gelesen.
Und ich bin so gerne auf dem Darß.
Und sehr gespannt auf die nächsten Reiseeindrücke.
(Die Seefahrt als Strafe🤔, gibts doch gar nicht😉)
Liebe Grüße, Karin