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Der Rhöner 2.0

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Raunächte an der Cinque Terre

Aktualisiert: 31. Dez. 2023

Raunächte stehen in der germanischen Mythologie für wild und ungezähmt, für Chaos und Gefahr. Die Grundidee für die Tage zwischen den Jahren ist immer noch die Gleiche. Die Raunächte sind eine Zeit der Reinigung und des Neubeginns.



Uns zieht es nach dem Meer. Die kürzeste Verbindung zwischen der Lahn und dem Mittelmeer beträgt schlappe 900 Kilometer. Ein Katzensprung, wenn man glaubt, so den Raunächten zu entkommen und sich stattdessen mit leckerem Schinken und Käse, Wein und frisch gebratenem Fisch beglücken zu können.



Wir starten am zweiten Weihnachtsfeiertag in Richtung Süden. Am Vierwaldstätter See bei Luzern, am Fuße des Pilatus, ist Halbzeit.

Die Eidgenossen bereiten uns ein Nachtlager und laden zu einer deftigen Mahlzeit ein.

Spätestens, wenn du auf der Autobahn mit Hundert durch die Baustellen rauschst, auf denen nur Sechzig erlaubt sind und du dich verwundert fragst, wieso du kolonnenweise überholt wirst, bist du in Italien.

Bevor das Meer zu riechen ist, musst du über die Berge. Die Ligurischen Alpen trennen die Poebene vom Wasser. Die A7 zwischen Mailand und La Spezia ist eine einzige Haarnadelkurve. Wenn dein Beifahrer die Hand nach dem Griff über der Tür erhebt, hast du Spaß. Auf dem Rücksitz sollte besser nichts loses herumliegen.



In Richtung Cinque Terre werden die Straßen erst enger, dann schmaler und schließlich zum Single Trail. Unser Ziel ist Vernazza. Das Dorf ist mit dem Auto nicht erreichbar. Wir zahlen zwanzig Euro pro Tag für einen Parkplatz oberhalb des Ortes und werden mit einem Shuttle samt Gepäck unten am Dorfeingang abgesetzt.



Cinque Terre ist eine Reihe von fünf historischen Küstendörfern in der Region Ligurien. Sie kleben wie Vogelnester an den steilen Hängen der Riviera di Levante. Die Dörfer heißen Monterosso al Mare, Vernazza, Corniglia, Manarola und Riomaggiore.



Auf gefühlt fünfhundert unterschiedlich hohen Steinstufen geht es durch schmale Säufergässchen zwischen dämmrigen Häuserspalten hinauf zu unserem MADA Charme Appartement. Das Dorf ist ein einziger Monolith. Alles ist mit allem verbunden, verwachsen, verzahnt. Hoch droben, direkt unterhalb des Castello schieben wir atemlos die Koffer über die Schwelle unseres Ausgucks.




Lebensmittel einkaufen ist ein bisschen schwierig. Der einzige Coop wird von einer Frau beherrscht, die es nicht nötig hat freundlich zu sein. In der engen Kellerstube türmen sich Pappkisten und Regale mit Nudeln, Wein und Toilettenpapier bis unter die Decke. An den Kühlschranktüren mahnen handgeschriebene Zettel "Do not Touch". An der Kasse werden Phantasiepreise aufgerufen. Madame verbreitet eine klare Botschaft. Kauf es oder lass es.



Am nächsten Morgen sitzen wir im Trenitalia nach La Spezia. Die drei Stationen sind in achtzehn Minuten erreicht. Auf dem Wochenmarkt wohnt das Genießerglück.







Erkenntnis der Raunacht: Ohne die Unfreundlichkeit der Coop- Ladenbesitzerin hätten wir La Spezia nicht kennengelernt.

Der Name Cinque Terre bedeutet "5 Länder" und bezieht sich auf die fünf Dörfer die seit dem 16. Jahrhundert eine Gemeinde bilden.

Die gängigste Verbindung zur Außenwelt ist die Bahn. Der größte Teil der Strecke führt durch Tunnel. Wenn es hell wird kommt ein Bahnhof.



Besinnlicher und deutlich anstrengender ist der zwölf Kilometer lange Wanderweg über die Steilküste. Auch dieser verbindet die Dörfer miteinander. Er führt über endlose naturbelasse Steinstufen, die sich mehrere hundert Meter in die Höhe winden, um im nächsten Ort wieder auf Meereshöhe abzufallen. Die Beschaffenheit mag deutschen Ansprüchen nicht genügen, doch Gott sei Dank, sind wir nicht alleine auf dieser Welt.



Die Vokale A und O beschreiben am besten die Ausblicke auf die Natur und das Meer.




Rau, ist nur die Überwindung und die Anstrengung um der Schönheit zu begegnen.




Vernazza hat aktuell 729 Einwohner. Vor siebzig Jahren waren es mit 2300 dreimal so viele. Die Gründe sind vielfältiger Natur. Die jungen Leute wandern ab in die Städte. Die Alten bleiben zurück. Der boomende Tourismus treibt viele Dorfbewohner aus ihren Häusern. Es ist lukrativer, den morbiden äußeren Charme zu wahren und den Inneren mit exquisitem Mobiliar auf höchstem Niveau gewinnbringend zu vermarkten.



Erkenntnis der Raunacht: Im Schatten vieler Dinge versteckt sich oft der schöne Schein.


Ich habe ehrlich gesagt ein schlechtes Gewissen, wenn auf meinem Teller eine ganze Familie von Oktopus Babys in einer Kräuter-Knoblauchsoße schwimmt. Natürlich passt dazu ein frischer Sassarini Campo al sole aus der Cinque Terre.



Erkenntnis der Raunacht: Es ist wie es ist. Die Großen fressen die Kleinen.


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