Wien ist seit Jahrhunderten die Heimstatt Bildender Künstler. Bekannte Architekten, Schriftsteller, Bildhauer, Musiker und Komponisten wurden jeher magisch angezogen von der Stadt an der Donau. Selbst einem Beethoven wurden erst in Wien die Schlüpfer auf die Bühne geworfen.
Angereist sind wir mit der Bahn. Für die 850 Kilometer ab Koblenz braucht der ICE knappe acht Stunden inklusive einer halben für die obligatorische Verspätung.
Wir wohnen standesgemäß im 7th Heaven. In einem der ältesten Stiegenhäuser der Stadt haben wir ein Appartement gebucht. Drei Meter hohe Stuckdecken, Kronleuchter und dicke Kordeln an dunkelblauen Vorhängen bestimmen das Ambiente. Die geschichtsträchtige Einrichtung wird aufgehellt von einer freitragenden Treppe in ein darüber liegendes Halbgeschoss. Ein in der Summe angenehmes Ambiente mit zuvorkommend freundlichen Gastgebern.
Beim Einzug erhalten wir ein Begrüßungsgeschenk vom Inhaber. Ein Stück einer alten Fußbodenfliese mit einem eingelassenen Magneten wird künftig den Einkaufszettel an unserem heimischen Kühlschrank festhalten.
Ich liebe meine Runde zur blauen Stunde und darüber hinaus. Die Stadt schminkt sich mit den Lichtern der Laternen, macht sich bereit für die dunkle Seite des Erdumdrehung.
Zum ersten Frühstück wird Café, mit der Betonung auf auf dem é, gereicht. Das Croissant duftet und bröselt vor sich hin, ist mit Eiersalat gefüllt und schmeckt himmlisch.
Wir gehen auf Erkundungstour und treffen auf Menschenströme die dem Volksgarten und dem Parlament zustreben. Wir werden von der Menge mitgezogen, vorbei an Polizei und verstreutem österreichischem Heer, vorbei an Fahnen, Absperrungen und Gefechtsfahrzeugen. Alle Geschäfte sind geschlossen.
Es dauert, bis wir kapieren, was los ist. Wir haben uns den Nationalfeiertag unseres südlichen Nachbarn, den 26. Oktober, für unseren Ausflug ausgesucht. Zwischen Parlament, Burgtheater und Hofburg geht kein Apfel zur Erde.
Kinder spielen auf Panzern, drehen an den dunkelgrünen Lenkrädern der Mannschaftswagen. Plakate mahnen und beschwören die Notwendigkeit der Landesverteidigung.
Rasch entziehen wir uns der Gemengelage und streben ruhigeren Gefilden zu. Wien bietet Beinfreiheit für alle.
343 enge Stufen gilt es zu besteigen, bis in die Türmerstube des Südturms im Stephansdom. Der Wiener liebt ihn, seinen "Steffl".
Der Aufstieg ist atemraubend, der Ausblick atemberaubend. Erst wer hier oben war, war auch da.
Zentralfriedhof
Wir fahren durch das verregnete Wien mit der Straßenbahn Linie 71. Vom Volkstheater bis zum Zentralfriedhof sind es achtzehn Stationen. Die Stadt zieht vorbei hinter beschlagenen Scheiben. Fahrgäste kommen und gehen, tragen Schirme, Mäntel und Pfützen herein.
Friedhöfe im Regen schenken nicht nur den Toten ihre Ruhe. Wir sind gefühlt die Einzigen auf dem riesigen Areal. Schwermütige Regenschleier legen sich wie ein Leichentuch über das dunkle Gestein. Wir erliegen dem morbiden Charme tausender Geschichten.
Friedhöfe sind museale Zeitgärten. Auf den Beeten stehen steinerne Blumen mit eingemeißelter Lebenszeit. Zeitgärten dokumentieren Leben wie aufgeschlagene Geschichtsbücher. Die Zeit ist es, in die wir hineingeboren werden und wieder gehen. Der Tod begrenzt alles Leben. Er mahnt uns zu leben. Erst im Angesicht des Todes erkennen wir unsere begrenzte Zeit. Die Zeit schenkt uns den Augenblick alles Schönem und Schrecklichem. Es mag blasphemisch klingen, aber im Garten der Zeit liegt mehr Anspruch und Hoffnung begraben als in aller Ewigkeit.
Schloss Schönbrunn
Die U4 chauffiert den Touri zum Schloss Schönbrunn. Die Anlage macht ihrem Namen alle Ehre. Für die Besichtigung der Innenräume des Schlosses blieb keine Zeit. Der Aufstieg auf die Gloriette ist ein Muss. Der Ausblick entschädigt für Hunger und Durst, Wind und Wetter. Die Touri-Pflichtveranstaltung erhält die höchste Kür-Note. Die Anlage besticht durch ihre verschiedenen Sichtachsen, ihre exakte Linienführung, durch Leichtigkeit und Erhabenheit. Toll.
Prater
Abreisetag. Die Zeit bis zur Deutschen Bahn verbringen wir im Prater an der Achterbahn. Sie hält, was die DB verspricht. Sie bewegt sich, ist schnell, pünktlich und zaubert jedem Reisenden ein Lächeln ins Gesicht.
Resümee
Wien trägt seit Jahren die Trophäe der lebenswertesten Stadt der Welt. Den Titel der Liebenswertesten fügen wir gerne hinzu.
Es ist nie zu spät, darüber nachzudenken.
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